Klaus Rohwer |
Die Mundharmonika und ihre Obertöne |
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Es hat sich, glaube ich, herumgesprochen, dass der Klang der Mundharmonika sehr
obertonreich ist. Aber was sind das eigentlich: Obertöne?
*Anharmonische und Subharmonische spielen bei der Mundharmonika keine Rolle. Anharmonische treten z.B. bei Instrumenten mit ausklingenden Tönen wie dem Klavier auf, Subharmonische z.B. bei Glocken (zusammen mit Anharmonischen). Da Obertöne und Harmonische im Allgemeinen in der Mehrzahl auftreten, kann man sie nach ihrer Frequenz sortieren und durchnummerieren. Im Allgemeinen** ergibt sich eine Nummerierung, die gegenüber der der Harmonischen um eins versetzt ist. Der erste Oberton ist der mit der, verglichen mit dem Grundton, nächsthöheren Frequenz. Die erste Harmonische dagegen ist der Grundton selbst, denn Harmonische werden so nummeriert, dass ihre Nummer gleich der ganzen Zahl ist, mit der man die Frequenz des (physikalischen) Grundtons malnehmen muss, um die Frequenz der Harmonischen zu erhalten. Der erste (harmonische) Oberton eines (physikalischen) Klangs ist also schon die zweite Harmonische, usw. Wir werden das gleich an dem folgenden Diagramm sehen. ** Ausnahmen können vorkommen, wenn es anharmonische Teiltöne gibt. Subharmonische Teiltöne erhalten, je nachdem ob man Obertöne oder Harmonische betrachtet, entweder eine negative oder eine gebrochene (1/2, 1/3, 1/4, ...) Nummerierung. Dieses Diagramm zeigt beispielhaft ein sogenanntes Amplitudenspektrum, und zwar von einem F5 (das mittlere F) einer chromatischen Drei-Oktaven-Mundharmonika. Solch ein Spektrum hängt nicht nur von der verwendeten Mundharmonika ab (siehe unten), sondern auch vom verwendeten Ansatz (Abdecktechnik, Spitzmundtechnik, Rollzungentechnik). Ich habe dieses aus einer Aufnahme erzeugt, die ich mit einer Hohner Chromonica 270 De Luxe und mit meiner Ansatztechnik, der Rollzunge, gemacht habe. Bei Verwendung der Abdecktechnik (tongue blocking) sollen nach Aussagen verschiedener Spieler die Amplituden der höheren Obertöne kleiner und die der tieferen Obertöne größer sein. Das habe ich aber bisher noch nicht nachgeprüft. In diesem Diagramm kann man Verschiedenes erkennen:
Was man an diesem Diagramm nicht sehen kann ist, dass es nur für genau diesen einen Ton gilt. Die Spektren der anderen Töne sind sehr individuell insofern, als die Amplituden der einzelnen Obertöne / Harmonischen ganz unterschiedlich sein können, sogar von (musikalischen) Tönen mit ähnlichen Tonhöhen und – das ist erstaunlich – sogar von Tönen gleicher Tonhöhe in verschiedenen Kanälen! Dazu kommen wir noch... Solche Linienspektren kann man allerdings schlecht miteinander vergleichen. Deswegen habe ich sie in Balkenspektren verwandelt, was hier praktisch ohne Informationsverlust möglich ist, denn die Linien sind durch die Grundtonfrequenz (die uns gar nicht direkt interessiert), die Nummer der Harmonischen und ihre Höhe nahezu vollständig bestimmt (die Breite ist vernachlässigbar). Als Balkenspektrum sieht das obige Diagramm so aus: Jetzt kann man weitere Töne hinzunehmen, zum Beispiel den nächsttieferen E5 sowie die nächsthöheren, G5 und A5: Hier sieht man schon, dass die einzelnen Töne ganz unterschiedliche Spektren haben, aber auch eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den Ziehtönen F5 (blau) und A5 (gelb). Die Ähnlichkeit zwischen den beiden Blastönen E5 (grün) und G5 (rot) ist allerdings nicht so groß. Bei noch mehr Tönen wäre allerdings auch diese Darstellung schnell unübersichtlich. Deswegen habe ich mir dafür noch andere Darstellungsweisen überlegt. Eine davon erscheint mir für den Vergleich zwischen verschiedenen Instrumenten besonders geeignet (siehe unten). Im Folgenden zeige ich die entsprechenden Diagramme für alle von mir vermessenen chromatischen Sopran-Mundharmonikas (C4...C7). Dabei habe ich nur die Töne der C-Dur-Tonleiter berücksichtigt, also ohne jeweils den Schieber zu betätigen. Dafür gibt es aber diejenigen Töne, die auf Blasen jeweils zweimal vorkommen (C5 und C6) hier auch doppelt - und das aus gutem Grund. Die Balken zeigen jeweils für den betreffenden (musikalischen) Ton, wie er aus verschiedenen Obertönen zusammengesetzt ist. Die Farben für die einzelnen Harmonischen sind in der Legende ganz unten erklärt. Ab der zwölften Harmonischen habe ich sie mit allen noch folgenden zusammengefasst (in magenta). Eine Gemeinsamkeit zumindest der Sopran-Mundharmonikas scheint zu sein, dass im Bereich der Kanäle 3 und 4 (A4 bis C5) sowie 6 und 7 (E5 bis G5) die dritte Harmonische recht ausgeprägt ist. Die fünfte Harmonische dominiert im Bereich der Kanäle 1 und 2 (C4 bis E4) sowie 5 und 6 (D5 bis F5). Ein erstaunliches Ergebnis ist die Tatsache, dass die beiden Säulen der C5 (Kanal 4 und 5 Blasen) bei allen Sopran-Mundharmonikas vollkommen verschieden aussehen, obwohl es sich um den selben Ton handelt. Während bei Kanal 4 Blasen eindeutig die dritte Harmonische dominiert, ist es in Kanal 5 Blasen nicht so klar, oft ist es die fünfte, die sechste oder auch die siebte Harmonische. Die beiden C6 in Kanal 8 und 9 hingegen sind von den Spektren her recht ähnlich. Ich habe mich gefragt, wie die Mundharmonika wohl im Vergleich mit anderen Instrumenten abschneidet. Da ich selbst keine anderen Instrumente spiele und in dieser Zeit (2020: Corona-Pandemie) auch niemanden einladen mochte, mir die Töne auf seinem Instrument einzuspielen, habe ich auf die gesampleten Töne von VSTi (Virtual Sound Technology Instruments) auf meinem Rechner zurück gegriffen. Damit habe ich solche Diagramme auch für Trompete, Saxophon, Akkordeon, Violine, Klarinette und Flöte erstellt (siehe unten). Und auch für die VSTi-Mundharmonika habe ich ein solches Diagramm erstellt. Wie man sieht - und wie es eigentlich nicht anders zu erwarten war - weicht dabei die Zusammensetzung der Teiltöne stark von meinen gemessenen Werten ab. Jede*r, die/der einmal mit MIDI-Mundharmonikaklang experimentiert hat, weiß, dass er nicht sonderlich naturgetreu klingt. Kann er ja auch gar nicht, denn es gibt ja nur eine MIDI-Mundharmonika, aber in Wirklichkeit viele verschiedene Mundharmonikaklänge, die von der Instrumentenkategorie (diatonisch/chromatisch), von der Spielweise (Abdecktechnik, Spitzmundtechnik,...) und von der Mikrofonierung (auf dem Mikrofonständer, in der Hand gehalten, offene oder geschlossene Handhaltung) abhängen. Hinzu kommen noch die Möglichkeiten der Klangbeeinflussung durch Mischpulte, Equalizer und Effektgeräte. Alle diese Einflüsse habe ich versucht auszuschalten, indem ich die untersuchten Mundharmonikas "mit spitzen Fingern" angefasst und in etwa einem Meter Entfernung vom Mikrofon gespielt habe (siehe unten unter Details). So spielt in der Praxis natürlich kein Mensch dieses Instrument! Aber ich erhoffte mir dadurch eine bessere Vergleichbarkeit herzustellen. Anhand des Vergleichs zwischen Natur-Mundharmonikaklang und VSTi-Mundharmonikaklang kann man schon erkennen, dass ein Vergleich der Mundharmonika mit VST-Instrumenten eigentlich gar nicht zulässig ist. Um eine Vergleichbarkeit mit anderen Instrumenten herzustellen wäre es erforderlich, diese ebenfalls unter den selben Bedingungen einzuspielen, statt auf VSTi zurückzugreifen. Offenbar lässt sich auf diese Art nicht beweisen, dass die Mundharmonika das obertonreichste Musikinstrument ist, auch wenn - mit der nötigen Vorsicht - festgestellt werden kann, dass sie wohl zu den obertonreicheren gehört (wie auch das Tenorsaxophon). Woher kommen die vielen Obertöne der Mundharmonika? Von den Stimmzungen selbst nicht, denn die schwingen weitgehend sinusförmig. Sie müssen daher kommen, dass der Luftstrom durch das Pendeln der Stimmzunge durch den Stimmplattenschlitz ständig nicht nur unterbrochen, sondern auch in praktisch kaum vorherzusagender Weise beschleunigt und abgebremst wird. Siehe dazu auch meine Seite über Schwingungsformen. Technische Details Um solche Spektren zu erstellen, habe ich von neun verschiedenen dreioktavigen chromatischen Mundharmonikas alle Töne, die man ohne Betätigung des Schiebers erreicht (24 an der Zahl), aufgenommen. Die Aufnahmen habe ich im Garten vorgenommen, um möglichst weit weg von irgendwelchen Wänden zu sein, zwischen denen es zu stehenden Wellen kommen kann. Treten solche stehenden Wellen auf, so verfälscht das die Amplituden; deshalb kann man in Innenräumen solche Aufnahmen nicht sinnvoll machen (es sei denn, man hätte einen sog. schalltoten Raum zur Verfügung). Die Aufnahmen wurden mit einem AUDIX Fireball-Mikrofon gemacht, das über ein Focusrite Scarlet 2i4-Audio-Interface an meinen Laptop-Computer angeschlossen war. Zur Aufnahme lief auf dem Rechner das Freeware-Programm Audacity. Die Samplerate betrug 44100 Hz. Ich stand während der Aufnahmen ca. einen Meter vom Mikrofon entfernt, also im Fernfeld, was wegen der Richtcharakteristik wichtig ist. Aufnahmen im Nahfeld, mit dem Mikrofon in der Hand direkt vor der Mundharmonika habe ich ebenfalls durchgeführt. Diese Ergebnisse habe ich hier nicht präsentiert. Die aufgenommenen Tonsignale habe ich mit dem Computer zunächst auf gleiche Amplitude normiert und dann mathematisch analysiert. Durch das Verfahren der sog. Fourier-Analyse kann man die Amplitudenspektren jedes einzelnen Tons ermitteln. Für Leute, die sich damit auskennen: jeden einzelnen Soundclip habe ich mit einer Flat-Top-Fensterfunktion gewichtet, die eine besonders gute Amplitudentreue besitzen soll (https://de.wikipedia.org/wiki/Fensterfunktion#Flat-Top-Fenster). Die Amplitudenspektren wurden noch mit dem reziproken Frequenzgang des Mikrofons gewichtet und so skaliert, dass die Gesamtleistung (Summe über die Amplitudenquadrate) über alle Harmonischen kumuliert für jeden Ton gleich ist. Zurück zur Übersicht "Kleine Mundharmonikaphysik" |
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